Die Flucht im Winter 1945

Zur Einleitung:

Der Bericht von Pfarrer Weber ist die bisher genaueste und eindruckvollste Beschreibung der Flucht der im Wartheland angesiedelten Galiziendeutschen 1945 vor der roten Armee. Dieser Bericht verdient es, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.

Pfarrer Ferdinand Weber wurde 1915 in Deutsch-Altfratautz (Bukowina) geboren. Am 25.06.1939 wurde er zum katholischen Priester geweiht. Zusammen mit seiner ersten Gemeinde in Rumänien wurde er 1940 in den Warthegau umgesiedelt. Dort gehörten zu seiner neuen Gemeinde in Stavensheim bei Kalisch viele Galiziendeutsche, unter Anderem aus Bruckenthal und Wiesenberg, die ebenfalls von der Umsiedlung infolge des Hitler-Stalin-Paktes betroffen waren. Die Ansiedlung der deutschen Bauern erfolgte in polnischen Orten, die in dieser Zeit deutsche Namen hatten. 1939 wurde der polnische Ort Stawiszyn nördlich von Kalisch in Stavenshagen umbenannt, 1943 in Stavensheim.

Der Bericht gibt einen Eindruck, wie sehr der Pfarrer während der Flucht mit seinen Gemeindemitgliedern verbunden war, jedoch seine Leistung für die Leitung des Flüchtlingstrecks wird von ihm in Bescheidenheit nicht so deutlich gemacht. Die Flucht dauerte vom 19. Januar bis zum 16. Februar 1945 und endete vorläufig in Pratau an der Elbe. In seinem neuen Wirkungskreis wurde er 1945 vom Paderborner Erzbischof als Vikar in Wittenberg und Kuratus in Kemberg eingesetzt. Andere Flüchtlingstrecks aus anderen Orten im Wartegau wurden teils über andere Wege in Orte um Ostrau und Zörbig in Sachsen-Anhalt gelenkt, wo viele Galiziendeutsche als Neubauern neu anfangen konnten. Auch Galiziendeutsche aus dem Treck von Pfarrer Weber siedelten schließlich in Orten bei Zörbig.

Die meiste Zeit seines Lebens war Pfarrer Weber Pfarrer in Osterburg in der Altmark. Ab 1983 verbrachte er seinen Ruhestand in Pretzsch an der Elbe. An den ersten Treffen der Galiziendeutschen nach 1997 war er durch die Messfeier und durch Vorträge mehrmals beteiligt. Am 5. April 2011 starb Pfarrer Weber in Bad Schmiedeberg im Alter von 96 Jahren.

Den staatlichen Behörden im Nationalsozialismus und später auch in der DDR wusste er mit schlauen Argumenten zu widerstehen, was in seiner Stasi-Akte mit der Bemerkung „er ist ein abgebrühter Verfechter der Kirche“ gewürdigt wurde. Für seine Verdienste um die Heimatvertriebenen aus der Bukowina erhielt Pfarrer Weber 2010 das Bundesverdienstkreuz.

Die im Bericht mehrmals genannte Katharina Benroth, geborene Reinpold (1912-1997) erhielt diesen Bericht persönlich von Pfarrer Weber. Ihr Sohn Otto Benroth (im Bericht als Kind erwähnt) erteilte mit E-Mail vom 26.03.2021 die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Zur besseren Lesbarkeit erfolgte durch Texterkennung eine Übertragung der Bild-Dokumente in eine Textdatei mit weitgehender Veränderung der Gestaltung des offensichtlich als Computerausdruck vorliegenden Dokuments, aber ohne Änderungen im Text.   

   Sacherklärungen:

Mit den im Bericht erwähnten Namen Keil und Weil könnte wegen eines Schreibfehlers auch der tatsächlich vorkommende Name Heil gemeint sein. Möglich ist auch die Bedeutung Kiel und Weiß.

Die am Ende des Berichtes erwähnte „Greiserherrschaft“ bezieht sich auf den Gauleiter Arthur Greiser, Reichsstatthalter in Posen für den Reichsgau Wartheland.   NSV = Nationalsozialistische Volkswohlfahrt.                             W. Kraus, März 2021.

 

Die Flucht vor der roten Front am 19. Januar 1945

aus Klein-Freienhalde, Kreis Kalisch, Wartegau (Polen)

nach Spören bei Zörbig

 

Pfarrer Weber berichtet:

 

16.01.1945

 

Der Volkssturm zieht in den Kampf, also muss irgend etwas los sein.

 

17.01.1945

 

In Stavensheim wird das Entbindungsheim geräumt. In Kalisch soll es schon drunter und drüber gehen. Ich fahre noch zum Religionsunterricht nach Helenow. Frau Keil und Frau Engel sprechen allen Ernstes von der Abfahrt. Da der Autobus nicht verkehrt, muss ich mit dem Gespann nach Kalisch, wo ich der Schwester und Frau Schörg die Stiefel überbringe. Die Kleinbahn fährt mit einer Stunde Verspätung ab, so komme ich erst spät abends wieder nach Hause. Frau Benroth zeigt mir weinend ein Telegramm vom Chefarzt: „Der Gesundheitszustand Ihres Mannes ist lebensgefährlich". Morgen will sie nach Herrenprotsch.

 

18.01.1945

 

Litzmannstadt (Lodz) ist schwer getroffen worden. Die Züge von hier nach Breslau sind seit mehr als 10 Stunden nicht mehr angekommen. So kann aus der Reise der Frau Benroth nichts werden. Nun plant sie, über Pleschen zu fahren. Der Amtskommissar erklärt ihr, dass die Lage sehr ernst ist und rät ihr, die Kinder ja nicht zu verlassen. Gegen 11:00 Uhr kommt Frau Benroth und sagt mir, es wäre Zeit zu packen. In rasendem Tempo fahre ich mit dem Rad nach Gotenfelde, um das Allerheiligste wegzunehmen. Unterwegs treffe ich Herrn Tomajer, der auch mit dem Rad herumfährt und die Leute packen heißt. Das ist schon amtlich. In Gotenfelde ist auch schon der Befehl zu packen gegeben worden, und zwar vom Amtskommissar selbst bei einer Versammlung aller Deutschen im Feuerwehrsaal. Die Frauen und Kinder aus Berlin werden schon abtransportiert. Also ist es wirklich ernst.

 

19.01.1945

 

Ich zelebriere in Stavensheim und packe dann in aller Ruhe weiter. Am Nachmittag besuche ich Herrn Benroth in Werginki. Vor einer Stunde ist der Sohn auf Urlaub gekommen. Die Frauen sind jetzt sehr ruhig. Da ich schon zurückkomme, wartet schon Fräulein Rosa Merk auf mich. Sie hat noch kaum etwas gepackt ich rate ihr, rasch ans Werk zu gehen und vom Amtskommissar ein Gespann für die Fahrt und Flucht zu verlangen. …

Um 20.00 Uhr kommt der Befehl, aufzuladen und sich auf dem Ring zu versammeln, auch erwartet, so doch ziemlich überraschend. Ich verabschiede mich von Frau Mühlnickel und schenke ihr zum Andenken den Rundfunkapparat und das Papstbild. Frau Pugowski, der Hausbesitzerin, schenke ich den Wecker und die Möbel. Den Kirchenschlüssel übergebe ich Frau Mühlnickel mit dem Auftrag, ihn an Pfarrer Wiewierski aus Dobry weiterzugeben. Schweren Herzens scheide ich von meinem Nest. Den Wohnungsschlüssel übergebe ich Frau Mühnickel.

Sie hat mir noch etwas Reisekost mitgegeben. Um 23:00 Uhr fahren wir los. Ich fahre mit dem Rad hinter oder neben dem Wagen der Nachbarin Katharina Benroth her. Nun sind wir auf der Straße, Gott allein weiß, wann wir wieder ein Dach über dem Haupt haben.

In einer gefährlichen Kurve geht es bergab, und zwar ziemlich scharf. Der ganze Treck stockt, nur im Schneckentempo kommen wir weiter... Beim Hinabfahren ist Frau Jäger aus Strogi mit ihrem Wagen in den Straßengraben gestürzt. Der Wagen muss liegen bleiben, das Nötigste wird auf einen anderen Wagen geladen. Das Kind ist beim Sturz unter den Wagen gekommen und jammert nun erbärmlich. Wer weiß, was ihm passiert ist. Herr Zintel und ich helfen den Frauen, die Sachen wieder in Ordnung zu bringen, umzuladen und einzuspannen. Frau Schulz, geborene Scheller, die sich vor zwei Jahren am Aschermittwoch in der evangelischen Kirche zu Stavensheim trauen ließ und Hochzeit feierte, ist auch bei der Katastrophe. Ihr zweites Kind. im Alter von 5 Monaten ist noch nicht getauft. Sie bittet mich, ich soll dem Kind die Nottaufe spenden. Da sie ihm, wie ich mir berichten lasse, schon richtig gespendet wurde, kann ich davon absehen.

 

20.01.1945

 

Da der morgen schon graut, rollt unser Wagen ohne viele Schwierigkeiten den Abhang hinunter. Nun geht es flotter weiter. Um 8.00 Uhr bleiben wir vor Pleschen stehen, füttern die Pferde und frühstücken. Eine polnische Frau bewirtet uns so gut, wie sie es in ihrer Armut kann. Nun geht es langsam weiter. Immer wieder stockt die unendliche Wagenreihe. In Pleschen fahren wir an Benroth und Scheller vorbei. Ihnen sind die polnischen Knechte mit den guten Pelzen abgehauen. Frau Scheller ist ganz verzweifelt und bittet Herrn Tomajer, er möge ihr doch seinen Knecht überlassen und ihr helfen. Durch Pleschen kommen wir nur sehr langsam vorwärts. Von allen Seiten kommen Wagenkolonnen und die Wehrmacht flutet mit ihren Autokolonnen auch zurück. Am späten Nachmittag füttern wir hinter Pleschen. Hier treffe ich Groß und Gurski aus Gotenfelde, Frau Weiß weint bitter, da sie die Kinder frieren sieht.

Was ist über uns gekommen! Unsere SA hat die Polen aus ihren eigenen Wirtschaften genommen und auf die Straße gesetzt. Nun sitzen wir auf der Straße und dazu noch im kalten Winter. Wir fahren weiter Richtung Koschmin. Nach etwa 5 km wird es langsam dunkel und wir gehen ins Quartier. In einem von Deutschen geräumten Hof kommen wir gut unter. Der kleine Otto findet im Haus zwei Hampelmänner und ist nun der glücklichste Mensch. Um den Wagen zu hüten, schlafe ich draußen. Ich bin ganz zusammengekrümmt und friere erbärmlich. So also sieht die Flucht im Winter aus. Gegen 3.00 Uhr morgens lasse ich den Wagen im Stich und schlafe bis 6.00 Uhr drinnen weiter.

 

21.01.1945

 

Sonntag, aber ohne Kirchgang und Gottesdienst. Um 8.00 Uhr brechen wir wieder auf, Lissa ist unser Ziel, und wie sehnen wir uns nach ihm! Einstweilen wollen wir aber Koschmin erreichen. Vor dieser Stadt kommt der ganze Treck ins Stocken. Das Gedränge ist furchtbar. Unterwegs geben uns die Polen warme Milch zu trinken. Schwarzmeerdeutsche haben da Übernachtet und am Morgen die Wäsche der Mädchen geraubt. Eine Magd erkennt, dass ich katholischer Priester bin und gibt sich als Nonne zu erkennen. Natürlich ist sie Polin. Mit einer Flasche heißer Milch kehre ich zurück zum Wagen. Auf dem Hof war auch ein Mädchen aus Ilno, wenn ich nicht irre, dessen Mutter plötzlich erkrankt war und nun hier daniederlag. War es nur Übermüdung?

Am Nachmittag treffe ich Herrn Zintel, dann Pihs, Hektor usw. Ich rufe ihnen einen Gruß zu, steige dann auf ihren Wagen und begleite sie ein Stück Weg. Bei diesem frohen Treffen fühle ich so recht, wie ich in den zweieinhalb Jahren mit meinen Schäflein so ziemlich eins geworden bin. Einer ist dem Anderen ein Stück Heimat. Am Abend kommen wir erst gegen 9.00 Uhr ins Quartier. Es ist ein Gut, dessen Besitzer auch schon geflohen ist. Für die Pferde gibt es einen warmen Stall. Aber auch wir müssen in dem Stall schlafen. Frauen und Kinder schlafen auf dem Fußboden in einer polnischen Hütte. Wir reisen nun zusammen mit Weiß.

 

22.01.1945

 

Blaumontag! O Schreck, in der Nacht sind die Knechte getürmt. Nun werde ich Rossknecht und Fuhrmann. Nur mit großer Sorge übernehme ich Pferde und Wagen der Frau Benroth in meine Pflege. Mein Rad findet Platz auf dem Wagen, ich aber schreite neben den Pferden her. Herr Fischer aus Seidendorf ist da. Sein Wagen ist kaputt und er muss auf einen kleineren umladen. Weil er nicht alles drauf kriegt, verkauft er Herrn Eduard Weiß ein Schwein und einen Sack Mehl, mir einen Sack Mehl. Bis Herr Weiß seine Pferde beschlagen hat, wird es 11 Uhr.

Nur mit Mühe kommen wir durch den Ort, Unser nächstes Ziel ist Gostingen, das wir am Abend durchqueren. Weiß und Fischer haben wir verloren. Wieder treffe ich Familie Pihs. Nun kommt der Schreck der Nacht oder besser gesagt, die Schreckensnacht schlechthin. Da ich gerade mit Herrn Pihs spreche, geht unweit der Straße im Wald eine riesige Feuersäule hoch, der eine gewaltige Detonation folgt. Was ist das? Ich denke zunächst an eine Bombardierung Lissas durch feindliche Flugzeuge. Das Spiel wiederholt sich aber und die Explosionen werden gewaltiger und kommen immer näher. Nun denken wir alle, es waren russische Kanonen, die den Treck beschießen wollen. Panik und Wirrwarr. Die Mütter schreien, die Kinder weinen, viele springen von den Wagen und suchen Deckung. Inzwischen gehen die Explosionen weiter, die Pferde werden scheu und so mancher Wagen landet im Graben, endlich schreit ein deutscher Offizier: Warum diese Panik? Es sind ja deutsche Munitionssprengungen beim Rückzug, Reichlich spät kommt diese Aufklärung. Die Explosionen sind unheimlich. Die Pferde sind wild geworden und beginnen zu rennen. Um sie in meiner Gewalt zu behalten, hänge ich mich an den Zaum des Fuchses und renne tapfer mit. Frau Benroth kann sich vor Angst nicht mehr helfen. Zuerst will sie an die Seite fahren und stehen bleiben, dann will sie ins nächste Dorf und warten. Allein der Weg ist jetzt ziemlich frei und so fahre ich weiter. An so manchem umgestürzten Wagen geht's vorbei.

 

23.01.1945

 

Um 6 Uhr morgens sind wir 15 km vor Lissa. Wir fahren auf einen Hof, um zu füttern und zu ruhen. Ich halte mich kaum noch auf den Füßen. Die polnischen Arbeiter des Gutes nehmen uns auf. Die Pferde müssen aber auf dem Hof und im Zug stehen. Wir schlafen drei Stunden, dann rüsten wir zur Weiterfahrt. In Lissa soll alles überfüllt sein. Der Gastgeber ratet uns, da zu bleiben. Wir wollen tun, was alle tun, um das Los aller zu teilen. Um 15 Uhr fahren wir wieder los. Anfangs kommen wir gut vom Fleck, dann geht es aber in einem miserablen Schneckentempo weiter, Popiolek und Than fahren im Militärauto vorbei. Unterwegs treffen wir Frau Adam und Frau Hackammer. Nur langsam geht es auf Lissa zu. Aber 9 km vor Lissa werden wir umgeleitet. Gott sei Dank, dass wir nicht durch die Stadt müssen. Jetzt haben wir aber schlechte Straße. Die Pferde rutschen und die Wagen noch mehr. Jeden Augenblick kann man in den Straßengraben kommen.

Gegen 18 Uhr sind wir in einem Dorf. Wir bleiben stehen, füttern, essen und trinken etwas Warmes. Frau Benroth bekommt von Soldaten Milch für die Kinder und ich finde gutes Heu  für die Pferde, Wehrmacht und Gendarmerie beeilen sich sehr! Um 19.30 Uhr brechen wir auf. Wieder eine grauenhafte Nacht! Zunächst geht's durch den Wald, dann auf Feldwegen weiter. Vor der ersten Ortschaft herrscht großes Gedränge. Mit Mühe und Not kommen wir durch die Straßen des Städtchens. Dann fahren wir über freies Feld Fraustadt entgegen. Über freies Feld geht's auf die Haupt- und Heerstraße zu. Da wir die erreicht haben, kommt der Treck wieder ins Stocken. Es ist kalt und der Wind weht scharf. Ich friere bitter. Kopf und Brust habe ich mit Frau Benroths großem Halstuch eingehüllt.

 

24.01.1945

 

Um 5 Uhr morgens beziehen wir Quartier, Die Pferde müssen draußen stehen, wir kommen in ein nasses, kaltes Zimmer. Da wir kein Brot mehr haben, gibt uns Frau Hackammer einen Laib. Nach wenigen Stunden schlechten Schlafes rüsten wir zur Weite gegen Mittag wieder los. Frau Adam muss nun allein fahren und ist darum ganz verzweifelt. Zusammen mit Frau Hackammer will sie von der Wehrmacht mitgenommen werden. So bleiben sie denn zurück, ohne jedoch ihr Ziel zu erreichen. Nur 12 km haben wir noch bis Fraustadt, erreichen es aber heute noch nicht, denn wir fahren wie die Katze um den heißen Brei. Doch die Grenze des Warthelandes haben wir überschritten.

Um 20 Uhr beziehen wir Quartier in einem schlesischen Dorf. Wieder müssen die Pferde unter freiem Himmel stehen. Wir essen Brot und Fleisch und trinken kaltes Wasser dazu. Dann schlafen wir im Stroh. Um Mittemacht sehe ich nach den Pferden, es ist alles in Ordnung.

Zwei andere Pferde sind in dieser Nacht ausgebrochen und haben das Weite gesucht. Am Morgen hatten schwarzmeerdeutsche Frauen nichts womit weiterzufahren und weinten.

 

 

 

 

25.01.1945

 

Ich verschaffe mir Heu für die Pferde und fahre dann los. Nach einer Weile haben wir nach Fraustadt nur noch 7 km. Gegen Mittag sind wir da. Auch hier sind die Leute schon geflüchtet. Da die Wagenreihen von mehreren Seiten in die Stadt einfahren, sind die Straßen verstopft und wir kommen nur sehr langsam weiter. Da ich das sehe, mache ich einen Sprung zum katholischen Pfarrer und zu den Schwestern. Sie bewirten mich und geben mir eine Flasche heiße Suppe für die Kinder mit. Hier stoßen wir auch wieder zu Adam und Hackammer. Sobald wir aus der Stadt sind, geht es in hohem Tempo weiter.

Nun sind wir auf deutschem Boden und sehen so recht den Unterschied zwischen Wartheland und hier. Schöne, große Häuser, elektrisches Licht, Wasserleitung, Asphaltstraßen, geschlossene Dörfer. Um 18 Uhr kehren wir in einem Gut ein und finden hier Weiß und Fischer. Die Pferde stehen in einer Fabrik, wir schlafen in einem Zimmer des Schlosses, können aber kaum die Augen schließen. Soldaten machen die ganze Nacht hindurch schweren Radau.

 

26.01.1945

 

Heute ist es bitter kalt und wir kommen nur langsam voran. Mittags erlauben sich die Frauen den Luxus, Kartoffelsuppe zu kochen. Wir treffen in diesem Dorf Jarski und Mauer vom Hasengrund. Die Kartoffelsuppe lässt lange auf sich warten und darum fahren die beiden Weiß ab. Wir erreichen Schlesiersee und Übernachten im Dominium. Wieder müssen die Pferde draußen stehen. Ich schlafe auf dem Wagen, Frau Benroth bekommt gutes Quartier in der Stadt. Der Gastgeber teilt das letzte Brot mit uns.

 

27.01.1945

 

Durch den frischen Schnee geht's nur schwer voran. Wieder ist es bitter kalt. Am Morgen hatte ich meine gefrorenen Schuhe nur mit Mühe auf die Füße gekriegt. Gegen Abend treffe ich Herrn Kalinewski, der auch beim Volkssturm war. Im Walde von Gostingen ist er gestanden, hat aber noch rechtzeitig den Befehl zu schnellem Abrücken erhalten. Wir übernachten in einer evakuierten Wirtschaft. Da gibt es für uns Kartoffeln und die Pferde bekommen reichlich Hafer. Ich fülle zugleich auch meine Haferreserven auf. Im gleichen Haus sind auch Bukowiner einquartiert. Sie haben ein großes Hühnersterben verschuldet. Die Oder ist nicht mehr weit.

 

28.01.1945

 

Gegen Mittag überqueren wir die Oder bei Beuthen. Auf der Brücke hängen zwei Plünderer am Strang. Abschreckendes Beispiel sollen sie sein. Umsonst versuche ich Brot zu kaufen. Wir füttern kurz und fahren dann weiter. Neusalz ist unser Ziel. Vor der Stadt werden wir umgeleitet und geraten in das Dorf Schliefen, wo wir auf den Hof des Gutes fahren. Es ist bitter kalt. Die Pferde bringe ich in der Scheune unter. Nur nach langem Betteln bekommen Frau Benroth und Frau Adam Quartier. Die Schwarzmeerdeutschen haben uns Flüchtlingen einen sehr schlechten Ruf gemacht, so dass sich jeder vor uns hütet. Kein Wunder, denn man hat die Leute bestohlen und ihre Stuben versaut. In einer kleinen Dachstube schlafen wir 14 Personen.

 

29.01.1945

 

Am Morgen jagt uns ein Offizier auf und heißt uns in 10 Minuten abfahren. Die Wehrmacht geht hier in Stellung. Es dauert zwar etwas länger, aber wir müssen doch bald aufbrechen. Wir warten einige Zeit auf Familie Fischer. Da sie nicht kommt, fahren wir ab. Ein schwarzer Tag! Es ist sehr kalt und wir haben kein Brot, So essen wir bloß Wurst. Um 15 Uhr landen wir in Freistadt und gehen auch gleich ins Quartier. In einem Gasthof bekomme ich einen warmen Stall für die Pferde. Wir selbst bekommen in der Stadt ein ganz gutes Quartier.

 

30.01.1945

 

Kurz nach 8 Uhr fahren wir los, und zwar in Richtung des ganzen Trecks. Der Feldweg ist aber verschneit und wir kommen nur langsam voran. Es spricht sich herum, dass die Kreisleitung die Marschroute bekannt gibt, ich schicke also die zwei Frauen dahin. Die kommen mit Bescheid zurück: Sagan-Sorau. Wir müssen also umkehren, wieder in die Stadt fahren, um so auf die Straße nach Sagan zu kommen.

Unsere Bemühungen um Brot waren auch hier fast ergebnislos. Was wir bekommen, reicht nur für sehr kurze Zeit. Am Nachmittag füttern wir in einem Ort und kaufen auch Brot. Auf meine Marken bekomme ich 5 kg. Eine Sorge weniger! Das Fräulein in der Bäckerei ist sehr lieb und teilnehmend. Es nimmt uns in die warme Küche und reicht uns Kaffee. Dann ziehen wir weiter und wir kommen gut vom Fleck. Aber nicht lange. Mit knapper Not kommen wir an einem Lastauto vorbei, das in tiefem Schnee herumarbeitet und nicht weiter kann.

Dann geht's eigentlich wieder, aber nicht lange. Die große Sorge des Tages kommt noch. Zwei Autokolonnen haben sich begegnet, wollen einander ausweichen und bleiben beide im Schnee stecken. Die Soldaten sind zwar fleißig am Werk, um alles wieder flott zu machen, doch das könnte ein paar schöne Stunden dauern. Ich gehe vor, sehe mir alles an, entschließe mich, auf freiem Felde an diesem Zauber vorbei zu kommen. Das Schwierigste am Ganzen ist, durch den Straßengraben aufs Feld zu kommen.

Frau Benroth ist mit meinem Plan nicht einverstanden und möchte warten. Allein bevor sie zu Wort kommt, haben die Pferde schon angezogen. Frisch gewagt ist halb gewonnen. Bald sind wir wieder glücklich auf der Straße. An diesem Nachmittag geht bei einem Sturz das Glas meiner Uhr kaputt. Um 18 Uhr machen wir in Hirschfelde halt und suchen Quartier. Um etwas zu kriegen, müssen wir weit hinausfahren, werden aber sehr gut untergebracht. Nach einem wohltuenden Fußbad schlafe ich das erste Mal auf dieser Flucht wieder in einem Bett und unter einer warmen Federdecke. Hier sind die Leute sehr nett gewesen.

 

31.01.1945

 

Bei der Abfahrt am Morgen hat der junge Herr Adam Pech. Da er über einen Steinhaufen fahren will, bricht das Ortscheid, Frau Adam ist verzweifelt, der Junge weint, ich selbst weiß auch nicht, wie ich helfen sollte. Einige Soldaten packen aber zu und bald ist alles wieder startbereit. Durch tiefen Schnee kommen wir schwer und langsam zur Hauptstraße, Aber dann geht es flott weiter, so dass wir zu Mittag schon in Sagan sind. Hier treffen wir Geib und Emrich aus Predzen. Wir füttern in der Stadt und fahren dann wieder los. Fünf Kilometer vor Sorau wollen wir Quartier beziehen. Aber ein Gendarm sagt uns, wir müssten weiter und wären in Sorau schon am Ziel. Da ich es nicht glauben will, zeigt er mir die Liste. Kreis Jarotschin und Kreis Kalisch werden im Kreis Sorau untergebracht. Ich bin so froh, dass ich am liebsten diesen Mann umarmen möchte. Und nun geht's weiter. Die Pferde sind zwar sehr müde, aber Sorau erreichen wir doch noch. Hier treffen wir den Amtskommissar von Stavensheim. Auf der Auskunftsstelle erfahren wir, dass die Ortsgruppe Stavensheim 20 km weiter nach Teuplitz, muss. Wir übernachten in Sorau und da werden wir zum ersten Mal von der NSV betreut. Die Pferde stehen in der Fabrik, wir essen in einem Gasthof und schlafen in der Schule.

 

01.02.1945

 

Am Morgen muss ich ziemlich lange auf die Frauen warten. Um 8.30 Uhr fahren wir los. Teuplitz ist unser Ziel. Es ist schon so warm, dass der Schnee auf der Straße schmilzt. Da wir zu Mittag füttern, kommt Herr Benroth, Johann mit seinen zwei Wagen angefahren. Die Freude über das Wiedersehen ist groß. Familie Schön kommt von Teuplitz und fährt nach Sorau, Jeder muss zu seiner Ortsgruppe, Um 17 Uhr sind wir glücklich in Teuplitz gelandet. Schon am Anfang des Dorfes erkundige ich mich, ob es hier einen katholischen Pfarrer gibt. Ja, sagt man mir, und darüber bin ich froh. Wir müssen zur Schule, wo die NSV die Quartiere zuweist. Auf dem Weg sehe ich Schulz und Buttenbender. Bei der Schule treffe ich Herrn Kiel. Er sagt mir gleich, dass wir keine Quartiere kriegen. Der Herr von der NSV ist nicht ganz bei der Sache und spricht auch sehr pessimistisch.

Ich besuche den Pfarrer. Er ist ein junger Herr, der mich sehr freundlich empfängt. Ich sehe noch schrecklich aus. Die Schuhe sind ohne Schnüre und schmutzig, der Mantel ist ganz verfleckt und zweier Knöpfe beraubt. Schmutzig, ungeschoren und mit einem Bart von 14 Tagen stehe ich da. Nachdem ich mich ein wenig abgewaschen und eine Tasse Kaffee getrunken habe, kehre ich zurück zur Schule. Ganz erschöpft werfe ich mich auf das Strohlager und schlafe. Die Wagen haben wir in den Hof gefahren, die Pferde muss Frau Benroth selbst versorgen.

 

02.02.1945

 

Maria Lichtmeß, Frau Benroth und die alten Benroths haben schon Quartier. Ich mache mich in der Badestube des Pfarrers sauber. Am Nachmittag gehe ich mit Frau Benroth auf die Suche nach Familie Weiß. In Helmsdorf suchen wir vergebens. Da es schon ziemlich spät ist, ziehe ich allein nach Zilmsdorf, wo ich die Herren auch finde. Ich kann auch einen Sack Hächsel und den Rest von unserem Hafer mitbringen. Das ist sehr wichtig, denn die Pferde haben nichts mehr zu fressen. In der Schule erfahre ich, dass ich zu Herrn Edmund Ottlinger, Bahnhofstraße 12, ins Quartier komme. Da ich am Abend nicht mehr hinziehen kann, schlafe ich im Pfarrhaus. Kurt Rachfahl heißt der Pfarrer.

 

03.02.1945

 

St. Blasius, Nach mehr als zwei Wochen kann ich heute wieder das heilige Messopfer darbieten. Am Nachmittag bringe ich meine Sachen zu Herrn Ottlinger. Er ist ein siebzigjähriger Junggeselle, der seinen Haushalt ganz allein führt.

 

04.02.1945

 

Sonntag. Ich sitze im Beichtstuhl, Pfarrer Rachfahl predigt über das Thema: "Wohin soll ich mich werden? Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn". Vor allem nimmt er Bezug auf die Flüchtlinge. Herr Ottlinger hat mich zum Mittagessen eingeladen und rückt sogar mit einer Flasche Wein heraus. Ich beginne ein Buch von Pater Lippert zu lesen und ein anderes über die Heilsarmee.

 

07.02.1945

 

O Schreck, wir müssen wieder wandern. Kaum habe ich ausgepackt, da muss ich wieder einpacken. Die Matrikelbücher lasse ich im Pfarrhaus zurück und ebenso den Messwein. Es ist mir jämmerlich zu mute. In Gottes Namen - fahren wir.

 

08.02.1945

 

Diese Nacht habe ich miserabel geschlafen. Immer wieder stand das Gespenst der neuen Wanderung vor meinem Geist. Es war ein gequältes Schlafen. Um 4 Uhr stand ich auf. Herr Ottlinger half mir packen und die Sachen zum Wagen bringen. Das war sehr lieb von dem alten Herrn. Möge Gott es ihm vergelten! Beim Einspannen mache ich mich ganz dreckig, denn die Geschirre haben im Morast herumgelegen. Das Gebiss des Braunen ist durchgebrochen. Es wird mit einem festen Draht gestückelt und hält. Um 7 Uhr fahren wir los. Bis Triebel geht es ziemlich flott. Hier fängt aber wieder das ewige Stehen an. Hafer wird ausgegeben. Über Muskau kommen wir bei Einbruch der Dunkelheit nach Weißwasser. Auf der Straße nimmt sich ein sehr liebes Fräulein unser an. Wir bekommen warmen Kaffee für die Kinder, die Pferde erhalten einen warmen Trunk und Brotkrusten. Man sah es diesem Menschen an, dass er helfen wollte, und das tat uns so wohl. Wir fahren auf den Marktplatz, wo wir übernachten, Frau Benroth geht mit den Kindern in eine Schule, ich schlafe als Wächter auf dem Wagen.

 

09.02.1945

 

Schon um 7 Uhr fahren wir los. Und wir kommen gut vom Fleck, Jetzt halten wir uns an Johann Benroth. Zu Mittag bekommt er von einem Bauern 3 Bund Heu und einen halben Sack Hächsel. Gegen Abend landen wir in Hoyerswerda und müssen ins Quartier 4 km weiter nach Michalken. An diesem Tag haben wir 52 km zurückgelegt. Die Pferde sind todmüde. Wir übernachten in einem Gasthof. Die Pferde sind in der Scheune untergebracht, wir schlafen auf dem Fußboden in der Gaststube.

 

10.02.1945

 

Der Fuchs hinkt und kommt kaum noch vom Fleck. Ich fahre schon 90 Minuten früher los, und zwar fahre ich in das nächste Dorf zum Schmied. Mit viel Mühe und Not wird der Krampen umgeschlagen. Der Huf ist eingewachsen und eitert schon. Beim Aufschneiden ist das arme Tier sehr unruhig, so dass der fünfundsiebzigjährige Meister fast verzweifelt. Doch auch ich habe des Fußhaltens bald genug. Das Werk ist aber gelungen und wir können weiterfahren. Gegen Mittag sind wir in der nächsten Stadt und wir werden verpflegt. Dann geht es weiter bis Lindendorf, wo wir am späten und dunklen Abend die Quartiere vom Ortsbauernführer zugewiesen bekommen. Diesmal haben wir für die Pferde einen kleinen, warmen Stall. Fein! Ein Schwarzmeerdeutscher hatte ihn auf eigene Faust belegt und setzte nun seine ganze Redekunst ein, um mich abzuschieben. Umsonst, er muss in sein eigenes Quartier. Der Besitzer des Stalls ist ein altes Murmeltier. Er brummt und murrt ohne Ende. Wenn mir die Geduld reißt, schmeiße ich ihn in die Jauchegrube, in der beinahe das Pferd des Schwarzmeerdeutschen untergegangen wäre. Schlafen müssen wir im Nachbarhaus. Da nimmt uns eine sehr nette Frau auf. Selbst arm, bewirtet sie uns noch mit Kuchen und Kaffee. Da wir uns zur Ruhe begeben, will sie mich zu Frau Benroth ins Bett schaffen.

Ich sage ihr nun, wie es um mich steht, allein das kann sie nicht begreifen. Wie kann man denn so einsam leben? fragt sie. Nicht umsonst hat der Herr gesagt: "Nicht alle fassen dieses Wort, sondern nur die, denen die Gnade dazu gegeben ist ...und es gibt solche, die sich der Ehe enthalten um des Himmelreiches Willen. Wer es fassen kann, der fasse es!"

 

11.02.1945

 

Sonntag! Wir spüren wenig davon. Ich kaufe bei dem sehr unfreundlichen alten Herrn ein paar Garben Gemisch und um 8:30 Uhr fahren wir los. Im Dorf ist kein einziger Wagen mehr. So fahren wir ganz allein Ortrand entgegen. Unterwegs treffe ich Freienhalder Leute. Ein frohes Treffen mit meinen beiden Ministranten. Die Köstlers sind alle da.

Zu Mittag sind wir in Ortrand. Ich füttere, kaufe für mich und Herm Benroth Hafer und dann geht's weiter. Wir schließen uns dem Treck von Herrn Eduard Weiß an. Diese Herren fahren aber bergab und bergauf trab. So macht man nur die Pferde kaputt. Gegen Abend kommen wir in Prosen an und beziehen Quartier. Unser Wagen wird auf Nummer 8 bei Meyers untergebracht. Der Braun ist krank. Er hat starken Durchfall und will nichts fressen. Eine Sorge mehr! Die Leute sind anfangs sehr kurz angebunden. Da ich mich als Pfarrer vorstelle, werden sie ganz freundlich. Anfangs sollten wir in einem Gasthof schlafen, jetzt aber gibt's sowohl für Frau Benroth als auch für mich Quartier.

 

12.02.1945

 

Heute geht's nach Liebenwerda. Gegen Mittag sind wir da, müssen aber gleich weiter nach Düben an der Mulde. Wir treffen wieder Herrn Weil, den wir in Posen verloren hatten und schließen uns wieder seinem Treck an. Herr Peter Benroth drängt sehr darauf. Da der ganze Treck gleich losfährt und ich noch nicht gefüttert habe, kann ich kaum mitmachen. Die Pferde sind matt. So lasse ich mir das Ziel des Tages sagen und bleibe dann allein zurück, um zu füttern. Von einem Bauern erbettle ich etwas Heu für den Braunen, den ich dann auch warm tränke. Dann ziehen wir langsam los und kommen um 18 Uhr in Kötten an. Vom Treck ist da keine Spur. Angeblich soll er in Blumberg, 3 km seitwärts, untergebracht sein. Dieses Mehr kann ich meinen Pferden nicht zumuten. So stelle ich den Wagen in eine großmächtige Scheune und schlafe im Stroh. Frau Benroth hat gutes Quartier bekommen.

 

13.02.1945

 

Um 7.30 Uhr fahren wir los. Von den anderen ist nichts zu sehen. In Torgau überschreiten wir die Elbe und landen am Abend in Pressel. Die Pferde haben diesmal einen warmen Stall und gutes Heu. Wir sind bei Familie Müller untergebracht. Es sind sehr liebe Leute. Zum Abendbrot gibt's Quark mit Kartoffeln und nachher noch eine gute Bemme. Für die Nacht bekomme ich ein eignes Zimmer.

 

14.02.1945

 

In Düben treffen wir heute Herrn Schulz und werden seinem Treck angeschlossen. Ein Parteimann sagt uns, es wären nur noch 20 km bis zum Endziel Pratau. Am Abend sind wir aber längst nicht in Pratau, sondern erst in Ogkeln, 16 km vor Pratau. Wir werden bei Familie Beyer untergebracht. Die Bäuerin kocht uns einen guten Eintopf, aber der Wagen muss im Hof stehen, die Pferde in der Scheune hausen und ich auf dem Heuboden schlafen. Es soll ja die letzte Nacht sein. Wir haben den ganzen Mist auch gründlich satt.

 

15.02.1945

 

In der Nacht hat's geregnet. Der Wagen ist nass. Die Pferde sind schlecht gefüttert. Darum geht's nur langsam weiter. Familie Beyer hat uns vor der Abreise ein gutes Frühstück gereicht. Es sind nette Leute. Da sie mich als Pfarrer erkennen, werden sie sogar sehr freundlich. Diese evangelischen Christen leben aus Gottes Wort und finden in ihm Trost. Gegen Mittag sind wir in Pratau. Da sollen wir nun bleiben. Nur 3 km weiter liegt Wittenberg, die Lutherstadt. Ich setze mich gleich mit dem katholischen Pfarrer von Wittenberg telefonisch in Verbindung. Wachtmeister Liebmann nimmt sich in sehr freundlicher Weise meiner an. Am Abend spreche ich bei Pfarrer Genau vor und bleibe im Pfarrhaus über Nacht.

 

16.02.1945

 

Wie froh bin ich, dass ich wieder einmal das heilige Messopfer darbringen kann. Es kommt einer so ganz zu Bewusstsein, dass man eben Priester Gottes ist. Ich kehre zurück nach Pratau und harre im Lindenhof des Kommenden. Am Nachmittag bekommen wir die Quartiere zugewiesen, Frau Benroth kommt auf Schulstraße 8, ich auf Hermann Göring Straße 12 zu Frau Kola, Ich habe wieder einmal Glück. Die Gastgeberin ist sehr lieb und die Wohnung schön und sauber. Noch am Abend bringe ich meine Sachen ins neue "Heim".

       

17.02.1945

 

Nun zelebriere ich täglich in Wittenberg wohne aber in Pratau. Am Nachmittag marschiere ich mit Frau Benroth nach Dabrun. Da finden wir Benroth Peter und Johann, die Familie Schöller, Richtscheid und Rauth und Krause.

 

 

 

 

24.02.1945

 

Es melden sich zwei willkommene Ruhestörer. Ganz unerwartet erscheint eine Abordnung der Jugendgruppe, Gena Zentner und Katharina Bommersbach. Wir schauen uns an, als wenn wir alle drei vom Tod auferstanden wären. Frau Kola liegt im Krankenhaus. So machen wir uns allein ans Kochen und beim warmen Kaffee gibt's dann viel zu erzählen. Beim Kreisleiter Waibler waren sie in Bitterfeld und haben nach den Stavensheimern und nach Pfarrer Weber gefragt. Nach einer Besprechung mit Herrn Lindemann von der NSV werden meine Gäste im Gasthof Haase untergebracht.

 

25.02.1945

 

Am Nachmittag fahren wir alle drei nach Mösthinsdorf im Kreis Bitterfeld. Da ist ja die große Masse meiner Pfarrkinder. Plötzlich stehe ich am Abend vor Frau Zentner. Von ihr, die so sehr um mein leibliches Wohl besorgt ist, sowie auch von ihren Gastgebern, Familie Sitte, werde ich sehr freundlich aufgenommen. Am späten Abend ruft mich Fräulein Katharina Bommersbach noch an, ich möchte am nächsten Tag ihre Großmutter in Löberitz beerdigen.

 

26.02.1945

 

Schon am frühen Morgen gehe ich von Haus zu Haus. Ich besuche meine Pfarrkinder. Jeder Mensch, den ich hier treffe, ist mir ein alter Bekannter und ein Stück Heimat. Wir erzählen einander von der Flucht, vom gemeinsamen Kreuz und Leid. Die Leute sind noch guten Mutes und hoffen, bald ins Wartheland zurückzukehren. Leider wissen sie noch immer nicht, wie viel Uhr es schlägt.

 

28.02.1945

Parteigenosse Volk spricht auf einer Versammlung aller Flüchtlinge in Ostrau. Auch jetzt noch wagt er es, ihnen den Brei ums Maul zu schmieren. Es ist sicher, dass wir wieder in den Warthegau kommen, sagt er. Wir sollen auch hier Hakenkreuze als Abzeichen tragen. Dergleichen erzählt uns dieser Quasseler. Man kann wütend werden. Gleich nachher spreche ich mit Amtskommissar Drach wegen der Einquartierung der zwei Soldatenfrauen Hektor. Sie sind bei einem Großbauern untergebracht, doch dieser Großbauer hat ein sehr kleines Herz. Die Frau des Herrn Franz Hektor wohnt mit ihren drei Kindern in einem kleinen Zimmer, das kein Bett und keinen Ofen hat.

 

29.02.1945

 

Landrat Markgraf erklärt mir heute in Bitterfeld: "In sechs Wochen sind wir wieder in Kalisch." Die Botschaft hör ich wohl, allein es fehlt der Glaube,

 

19.03.1945

 

Wieder bin ich im Kreis Bitterfeld und besuche meine Gläubigen. Das Hauptquartier habe ich in Mösthinsdorf bei Familie Zentner.

 

24.03.1945

 

Ganz unerwartet erscheint Fräulein Rosa Merk und wird als Lehrerin für die Flüchtlingskinder eingesetzt. Ich bin froh, diesen Menschen wieder zu sehen, hat er mir doch in den schweren Zeiten Greiserherrschaft soviel geholfen. Aber auch sonst verdanke ich diesem Grübler so manchen Impuls.

 

01.04.1945

                      

In der evangelischen Kirche zu Mösthinsdorf feiern wir um 7.00 Uhr Morgens unseren Ostergottesdienst. Ostern in einer fremden Kirche, unter fremdem Dach am fremden Tisch. Und wo sind unsere Brüder, unsere Väter, unsere Mütter? Wenn die Kirche auch jubelt ob der Auferstehung des Herrn, wir müssen weinen.